Siga Mbaraga und Jasmin Badiane schrieben einen offenen Brief an den Vorstand der Refugee Law Clinic Berlin e.V. bezüglich einer geplanten Exkursion nach Eisenhüttenstadt.
Berlin, 23. November 2014
Sehr geehrter Vorstand der Refugee Law Clinic Berlin e.V., sehr geehrte Damen und Herren,
in der deutschlandweiten Gründung von Refugee Law Clinics (im Folgenden RLC) sehen wir widerständiges Potenzial. Vorausgehend sind die Berücksichtigung und das Verständnis der weltweit geschichtlich gewordenen Problematik, die die individuelle Mobilität in Abhängigkeit des Geburtslandes eines Menschen stellt. Mit dem Verständnis dieser gewordenen Strukturen und ihrer globalen Kräfte, die bis in die Gegenwart wirken, geht das Verständnis der strukturellen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten einher unter denen “die Anderen” – der sogenannte globale Süden, Schwarze Menschen und People of Color – leiden. Dahingehend würde die rechtliche Expertise im Bereich des deutschen und europäischen Asylrechts ein wirkungs- und machtvolles Mittel darstellen.
Die im Januar dieses Jahres gegründete Refugee Law Clinic Berlin e.V. an der Humboldt-Universität zu Berlin verfolgt das Ziel:
[…] Studierenden Kenntnisse des Asyl- und Aufenthaltsrechts zu vermitteln und gleichzeitig kostenlose und kompetente Rechtsberatung für Geflüchtete und Migrant_innen in Berlin anzubieten.1
Das sich bereits vor Beginn der Vorlesung im Wintersemester 2014/15 abzeichnende große Interesse hält mit seither wöchentlich mehr als 100 Teilnehmenden an.
Im Rahmen des oben beschriebenen Ausbildungszyklus ist ein ‚Besuch‘ in der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt geplant. Seit der Ankündigung dieses Vorhabens in der Vorlesung wurde Protest seitens der Teilnehmenden geäußert, die eine kritische Auseinandersetzung der Verantwortlichen forderte. Diese Kritik wurde von Anfang an weder als solche verstanden, noch ernst genommen.
Zur Rekonstruktion eine Zusammenfassung der Geschehnisse: Seit dem 28.10.2014 baten wir um einen Gesprächstermin. Wir wurden hingehalten und mit paternalistischen Mails abgewimmelt. Unsere Einwände wurden zu keinem Zeitpunkt öffentlich in der Vorlesung thematisiert.
Am 11.11.2014, nachdem wir zu Anfang der Vorlesung erneut feststellen mussten, dass die Dozierenden nicht mit uns reden wollen, stellte ich am Ende der Präsentation der vortragenden Gastdozentin der Freien-Universität Berlin sinngemäß folgende Frage, die darauf abzielte die Exkursion nach Eisenhüttenstadt öffentlich zu thematisieren: ‚Wie sei es zu vereinbaren, traumatisierte Menschen in einer prekären Lebenslage im Zuge einer Exkursion zu betrachten?‘ Daraufhin entstand im Hörsaal eine giftige Stimmung: Sowohl weiße Studierende als auch die Dozierenden fühlten sich sichtlich belästigt von der Fragestellung. Da letztere sich weigerten auf meine Frage zu antworten und Stimmen im Hörsaal dazu aufforderten mit der Vorlesung fortzufahren, sprich mich zu ignorieren, entgegnete ich laut und deutlich: ‚Dieses Verhalten sei nicht verwunderlich in einem Raum voller ›weißer Ignoranz und Arroganz‹.‘ Dies wurde von unreflektierten weißen Student_innen mit Empörung aufgenommen. Ein weißer Mann mit verfilzten Haaren, der zwei Plätze neben mir saß, sagte mir‚ mein Verhalten sei ›rassistisch‹‘. Am letzten Dienstag, 18.11.2014, wurde zu Beginn der Vorlesung das Geschehen dahingehend kommentiert, dass die Dozierende (in vollem Bewusstsein, dass sie uns seit einigen Wochen abwimmelt) die Veranstaltung mit den Worten eröffnete: ‚Sie würde in ihrem Hörsaal keine ›Beleidigungen und Diskriminierungen‹ gegen den Vorstand dulden. Sie hätte angenommen, es sei eine nicht erwähnenswerte Selbstverständlichkeit und bedauere festzustellen, dass dies nicht der Fall sei. Wenn sich so etwas erneut ereigne, dürften die Personen den Kurs nicht mehr besuchen.‘
Am selben Abend erhielten wir dann seitens der RLC einen Termin per E-Mail. Dieser wurde ohne Rücksprachen mit den Gesprächsinteressierten auf Freitag, 21.11.2014, festgesetzt. Aufgrund der Kurzfristigkeit konnten wir den festgelegten Termin nicht wahrnehmen und forderten die Abmachung eines neuen Termins. Diese Anfrage wurde mit der Begründung abgelehnt, der Vorstand würde sich bereits diesen Montag (24.11.2014) treffen, um u.a. über die Exkursion nach Eisenhüttenstadt zu tagen.
Für uns Schwarze Studierenden hat sich von Anfang an abgezeichnet, dass eine Veranstaltung, wie RLC sie an der HU anbietet, ohne Reflexion der eigenen, weißen Privilegien bzw. der hegemonialen Machtstrukturen, nicht ohne Zwischenfälle ablaufen kann.
Der überwältigende Andrang, mit mehr als 90% weißen Student_innen, hat uns von vornherein stutzig gemacht.
Wie anfangs erwähnt, sehen wir einerseits das Potenzial und die Notwendigkeit solch einer Einrichtung wie RLC, andererseits sind uns die Beweggründe der mehrheitlich weißen Teilnehmer_innen schleierhaft. Was sind ihre Motive? Welche Intentionen stehen hinter ihren Handlungen? Und was ist die Konsequenz, wenn sich wieder einmal mehrheitlich weiße junge Menschen als Retter_innen und Helfer_innen verstehen?
Unterstützt wird eine solche Haltung durch das westliche Bildungssystem, das Bildungsinhalte ausblendet, die nicht direkt einer beruflichen oder karrierebezogenen Verwertung dienen und so weißem Universalismus Vorschub leisten. Das Blicken über den weißen Tellerrand ist unzweckmäßig und erscheint deshalb nur als Hindernis.
Das müssen wir in Kauf nehmen, da es sich in dieser kontradiktorischen Welt manchmal nicht anders regeln lässt: Geflüchtete Menschen haben erschwerten Zugang zu rechtlicher Beratung und Jurastudent_innen sammeln während des Studiums keine praktischen Erfahrungen. Mit dem amerikanischen Modell der Law Clinics können wir schlussfolgern, dass beide Parteien davon profitieren.
Doch was ist, wenn die weißen Dozierenden und Initiator_innen der RLCs sich ihrer Verantwortung nicht bewusst sind? Was ist, wenn sie nicht wissen und hören wollen, was kritische Schwarze Stimmen ihnen beibringen können; und in einem Hörsaal mit mehrheitlich weißen Teilnehmer_innen die Schwarze Frau als störend abgestempelt wird und dadurch die Aussagen (reverse racism/ angry black woman/ silencing) der weißen Teilnehmer_innen legitimieren?
Werden Dozierende mit dem direkten oder indirekten Vorwurf ihrer nicht zufälligen Unkenntnis konfrontiert bzw. auf ihre zufälligen Vernachlässigungen hingewiesen, so wird dies nicht als beachtliche Größe für Auseinandersetzungen verstanden, die ins Zentrum gestellt und reflektiert wird.2
Diese Ereignisse sind keine individuellen Geschehnisse, sondern systematische weiße Strategien und Abwehrmechanismen, um sich mit den Forderungen nicht auseinandersetzen zu müssen. Denn Weiße wollen immer noch bestimmen: Wann sie Wie, Wem gegenüber, Was zu sagen haben. Es wird nicht verstanden, dass es in manchen Fällen geboten ist zuzuhören und dankbar anzunehmen, was ihnen zur eigenen Reflexion mitgeteilt wird:
Vorausgesetzt weiße Menschen bemerken ihre Ignoranz, wollen aber dennoch ihre Stellungen nicht verlieren, so müssen sie die jeweils »Anderen« aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, damit ihre Unkenntnis nicht aufgedeckt wird.3
Es gibt nichts, was eine Exkursion nach Eisenhüttenstadt in diesem Rahmen rechtfertigen würde. Es sind lediglich Kontinuitäten von kolonialen (Abenteuer-) Fahrten und Fantasien in neuem Gewand und mit neuer Rechtfertigung die verteidigt werden mit dem Argument einer Erfahrbachmachung von Leid, um vermeintliche Empathie und Solidarität zu befördern.
›Entwicklungspolitik‹ verfolgt das Konzept, Ländern, die als ›unterentwickelt‹ konstruiert wurden, nur dann ›solidarisch‹ zur Seite zu stehen, wenn auch die einheimische Industrie davon profitiert. ›Entwicklungshilfe‹ ist aus dieser Sicht also nur noch als Exportförderung für die Wirtschaft sinnvoll. Hier wird auch von der ›Kommerzialisierung‹ des Begriffs der Solidarität gesprochen.
Wir fragen uns, ob dieses westlich-kapitalistische Selbstverständnis (Kommerzialisierung der Solidarität) nicht bereits alle Bereiche der weißen Gesellschaft erreicht hat.
Zum Beispiel, wenn in Hamburg in Folge der Lampedusa-Katastrophe, junge, westliche, weiße, Filzlocken-tragende ›Linke‹ sich am Wochenende treffen, um an einem ›Lampedusa Workshop‹ auf einem Schiff! auf hoher See mitzumachen.
Oder, wenn eine Exkursion nach Eisenhüttenstadt angeboten wird, mit dem Ausblick ‚wenn wir Glück haben‘4 sich auch die Gefängniszellen anzuschauen. Wir nennen es Mitleidstourismus. Privilegierte weiße Studierende sollen einen Tag lang mal nachfühlen wie ‚das so ist‘, um sich dann aktivistisch engagieren zu können – natürlich wird dabei darauf geachtet, dass sie sich ‚wohlfühlen‘.
Hierzu hatten wir schon längst in unserer E-Mail Korrespondenz angeboten, geflüchtete Menschen einzuladen, die sich politisch engagieren und in der Vorlesung sprechen möchten. Oder eine der zahlreichen Dokumentationen anzuschauen, die es zu diesem Thema gibt.
Wir fordern das sofortige Stoppen der Fahrt nach Eisenhüttenstadt und eine Auseinandersetzung und Transparentmachung der Geschehnisse in der Vorlesung. Wir sind bereit uns mit den Verantwortlichen zusammenzusetzen und darüber zu diskutieren wie dies geschehen sollte.
Wir sind nicht daran interessiert das Projekt der RLC zu torpedieren. Wir wollen lediglich darauf aufmerksam machen, dass die weiße Perspektive in solchen Angelegenheiten seiner Verantwortung nachkommen muss und nicht einfach ignorieren kann, dass es Kritik gibt.
Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und unser Vorhaben und unsere Stimme solange laut erheben bis diese gehört wird. Dass Refugees auf RLCs angewiesen sind sollte für keine weiße Person eine Legitimation sein, sich nicht mit ihren weißen Privilegien auseinanderzusetzen. Ganz im Gegenteil: dadurch wird Machtmissbrauch vorprogrammiert. Eine Auseinandersetzung mit seinen eigenen Privilegien und den Machtstrukturen ist unabdingbar, um ein Mindestmaß an Einfühlungsvermögen für sein Gegenüber zu entwickeln. Denn diese Arbeit sollte nicht ausschließlich das weiße Selbstbild in seinem ›wohlgemeinten Rassismus‹ bestätigen.
Uns ist klar, dass die Gründung der Clinic und die damit einhergehende Planung der Ausbildung einen immensen Arbeitsaufwand darstellen. Unser Anliegen ist jedoch von höchster Priorität und die Verantwortlichen sollten sich dies zu Herzen nehmen.
Die paternalistische Haltung der RLC suggerierte, wir müssten für ihre Arbeit dankbar sein und es ist offensichtlich, dass sie mit Kritik nicht gerechnet hatten. Mehr noch: Im Denken, etwas Gutes zu tun, wird unsere Kritik als ungerechter Angriff aufgefasst.
Doch es ist genau andersrum. RLC sollte dankbar sein, dass wir sie darauf aufmerksam machen und die Kritik annehmen, um daran zu wachsen. Denn „le blanc est enfermé dans sa blancheur“5 (frz. „der Weiße ist eingesperrt in seinem Weißsein“) und braucht das Feedback von außen, um nicht in koloniale Denkmuster zu verfallen.
Mit freundlichen Grüßen,
Siga Mbaraga
Jasmin Badiane