Betr.:  Stellungnahme von Dr. Philipp Lengsfeld vom 22.01.2015 bzgl. der Berliner M-Straße

Sehr geehrter Herr Dr. Philipp Lengsfeld,

als ich Ihre Stellungnahme bezüglich der Ansage der M-Straße durch Dieter Hallervorden im „Tagesspiegel“ gelesen habe, habe ich zuerst gedacht, Sie wären falsch zitiert worden. Ich habe dann Ihre Webseite besucht und das Original Ihrer Pressemitteilung gelesen. Zuerst eine kleine Richtigstellung: Herr Dieter Hallervorden wurde niemals von postkolonialen Aktivisten und Aktivisten der Schwarzen Community zum Verantwortlichen für den Namen M-Straße gemacht, wie Sie schreiben. Herr Hallervorden hat vor zwei Jahren die rassistische Praxis von Black Facing in seinem Theaterstück “Ich bin nicht Rappaport” wiederbelebt. Für die afrikanische und Schwarze Community in Deutschland ist eine Person, die rassistische Klischees bzgl. Schwarzer Menschen verbreitet, noch weniger als jeder andere geeignet, einen diskriminierenden Straßennamen anzusagen. Es ist, als ob Herr Hallervorden nun auch noch einen Preis bekäme für seine fragwürdige Haltung bzgl. Black Facing.

Sie schreiben zudem „der Anwurf, dass dieser Name ‚kolonialrassistisch sei, wird zwar von einer kleinen radikalen Initiative permanent wiederholt, aber von einer Mehrheit der Stadthistoriker, Kommunalpolitiker und Anwohner mit Nachdruck zurückgewiesen.“ Ich erlaube mir, Ihnen hier zu widersprechen: Die Umbenennung der M-Straße wurde schon 2004 von mehr als 20 afrikanischen Vereinen Berlins mit Unterstützung des Migrationsrates Berlin-Brandenburg gefordert. Heute unterstützen zahlreiche afrikanische Vereine und Organisationen Schwarzer Menschen in ganz Deutschland die Umbenennung dieses skandalösen Straßennamens. Stattdessen fordern sie die Ehrung einer afrikanischen Persönlichkeit, die sich aktiv gegen Rassismus und für die Gleichberechtigung Schwarzer Menschen engagiert hat. In der umbenannten Straße sollte dann – da stimmen die Organisationen mit Ihnen überein – eine Info-Stelle errichtet werden, die Auskunft gibt über den alten Straßennamen, die Gründe der Umbenennung und über die Persönlichkeit, die fortan geehrt werden soll. Die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte hat zudem die Forderung nach Umbenennung der M-Straße damals nicht offiziell zurückgewiesen oder abgelehnt – die Entscheidung dazu wurde vielmehr aufgeschoben. Keineswegs hat die Mehrheit der Kommunalpolitiker – wie Sie schreiben – mit Nachdruck den rassistischen Charakter der Bezeichnung bestritten.

Der Begriff „Mohr“ war und ist eine Bezeichnung für Schwarze Menschen – und die Umbenennungsgegner bestreiten dies auch nicht. Dass die M-Straße zur Ehrung einer in Berlin empfangenen großen Delegation von Schwarzen im Jahr 1684 ihren Namen bekam, gehört zu den Legenden der beschönigenden weißen Geschichtsschreibung. Einerseits ist nur der Besuch von zwei Abgesandten aus dem heutigen Ghana, die sich in Berlin dem Kurfürsten unterwerfen sollten, historisch belegt. Andererseits ist auch sicher, dass Schwarze im Europa der Frühen Neuzeit alles andere als geehrt wurden. Hätten die als „Mohren“ bezeichneten Menschen damals Gleichberechtigung erfahren, wäre der erste afrikanische Gelehrte in Deutschland, Anton Wilhelm Amo, sicher nicht mit seiner Dissertation über die (fehlenden) Rechte von Schwarzen in Europa hervorgetreten. Hätten die so genannten „Mohren“ hier gleiches Ansehen wie Weiße genossen, wäre es den Brandenburgern wohl kaum möglich gewesen, die Versklavung von ca. 20 000 afrikanischen Menschen und ihre Verschleppung über den Atlantik zu rechtfertigen. Auch die Zeit vor der direkten deutschen Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert war also schon geprägt von einer stark diskriminierenden, rassistischen Grundhaltung, die sich in entsprechenden Stereotypen und Fremdbezeichnungen für Schwarze Menschen niederschlug. Selbst berühmte Philosophen wie Hegel und Kant haben – auch wenn dies in Deutschland bis heute gern ignoriert wird – in ihren Werken verbreitet, dass Schwarze Menschen als kulturlose Menschen zu betrachten wären.

Die so genannten „Mohren“ wurden in der Regel als Kinder versklavt und nach Berlin verschleppt: Sie mussten als Kammerdiener, Soldaten oder Musiker die Macht und den Einfluss der preußischen Herrscher repräsentieren. Der wegen breiter öffentlicher Kritik inzwischen umbenannte und abgewandelte Sarotti-M steht beispielgebend für dieses stereotype Gebilde „Mohr“, das als Produkt kolonialherrschaftlicher Phantasien weißer Europäer betrachtet werden muss. Die deutsche Sprache ist, wie Sie sicher wissen, voll von Redewendungen, die mit dem Begriff „Mohr“ neben Exotik auch Abwertung, Unterwürfigkeit, Dummheit und Infantilität verbinden. Der Begriff ist daher genau wie das N-Wort ganz ohne Zweifel eine rassistische und beleidigende Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen. Sie gehört folglich ebenso wenig auf ein Straßenschild wie die Namen von Kolonialverbrechern wie Peters, Nachtigal, Lüderitz, Wissmann und Woermann, die trotz aller Proteste in Berlin noch immer mit Straßennamen geehrt werden.

Als Schwarze Menschen erwarten wir von deutschen Politikern und besonders von Bundestagsabgeordneten, die im Menschenrechtsausschuss tätig sind, einen respektvollen Umgang mit unserer kleinen Minderheit innerhalb der deutschen Gesellschaft. Für Schwarze Menschen ist es völlig unakzeptabel, dass sich weiße Deutsche anmaßen, darüber zu entscheiden, was eine rassistische Beleidigung für uns ist und was nicht.

Wir freuen uns auf Ihre positive Mitwirkung in der Debatte um die M-Straße und ihren neuen Namen, und hoffen, dass Sie auch das Anliegen der afrikanischen/Schwarzen Community bezüglich dieser Straße verstehen werden. Zudem möchten wir Sie einladen, an unserem alljährlichen Gedenkmarsch für die Millionen afrikanischer Opfer von Sklaverei, Sklavenhandels, Kolonialismus und rassistischer Gewalt am 28.02.2015 in Berlin teilzunehmen. Der Marsch, der ein zentrales Denkmal für unsere Toten in Berlin fordert, beginnt um 11 Uhr an der Gedenktafel für die Berliner Afrika-Konferenz in der Wilhelmstraße und wird dann durch die gesamte M-Straße verlaufen.

Mit freundlichen Grüßen,

Moctar Kamara
Vorsitzender
Zentralrat der afrikanischen Gemeinde in Deutschland e.V.
 
offener Brief zum download – Offener-Brief-an-MdB-Lengsfeld-26.01.2015

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