Der Dokumentarfilm aus dem Jahre 2007  begibt sich auf die Spuren von im ersten Weltkrieg in Wünsdorf (Brandenburg) internierten Kriegsgefangenen – anhand von, unter dem Zwang des Lagers, angefertigten Stimmaufnahmen.

Das “Lautarchiv der Humboldt Universität zu Berlin” enthält heute rund 7500 Schellackplatten, Wachswalzen und Tonbänder. Darunter über 1600 Aufnahmen aus dem sog. “Halbmondlager” in Wünsdorf bei Berlin, in welchem ausschließlich Soldaten muslimischen Glaubens aus von Großbritannien und  Frankreich kolonisierten Gebieten (Nordafrika, Indien) festgehalten werden. Am 13. Juli 1915 wird hier die erste Moschee auf deutschem Boden eröffnet – ein kalkulierter Akt deutscher Außenpolitik, welche die Gefangenen zum “Djihad”, zum “heiligen Krieg” in ihren kolonisierten Herkunftsländern bewegen will. Das Osmanische Reich ist zu diesem Zeitpunkt Bündnispartner des Deutschen Kaiserreichs und für dieses stellt der Islam zu diesem Zeitpunkt eine mögliche, strategische “Waffe” im Kampf gegen England, Frankreich und Russland dar.

Die gegen ihren Willen hier festgehaltenen Menschen werden im Laufe der Jahre von deutschen Wissenschaftler*innen als “Forschungsobjekte” rassifiziert und ausgebeutet. Neben verschiedenen anderen, rassistischen Praktiken fertigt die “Königlich Preussische Phonographische Kommission” Sprach- und Gesangsaufnahmen von Gefangenen an. Dabei handelte es sich keinesfalls um biografische Interviews oder Einzelfallgeschichten, vielmehr mussten in vielen Fällen vorgegebene Begriffs-Listen eingesprochen werden. Die aus der “Auswertung” dieser Aufnahmen konstruierten “Theorien” kategorisieren und essenzialisieren die Betroffenen und stellen willkürliche, rassistisch argumentierende Verbindungen beispielsweise zwischen sog. “körperlichen Merkmalen” und geographischer Herkunft her.

Diese Aufnahmen bilden den Grundstock des “Berliner Lautarchivs”, das heute “Lautarchiv der Humboldt Universität zu Berlin” heißt.

Der Filmemacher Philip Scheffner begibt sich, ausgehend von Vor-Ort Recherchen im Lautarchiv und der Stadt Wünstorf, auf die Spur von Mall Singh, dessen Stimme am 1. Dezember 1916 in Wünsdorf aufgezeichnet wurde:

“Es war einmal ein Mann.
Er geriet in den europäischen Krieg.
Deutschland nahm diesen Mann gefangen.
Er möchte nach Indien zurückkehren.
Wenn Gott gnädig ist, wird er bald Frieden machen.
Dann wird dieser Mann von hier fortgehen.”

Im Infotext des Films heißt es zu seinem inhaltlichen und dramaturgischen Setting:

“Wie in einem Memoryspiel, das bis zum Ende unvollständig bleibt, deckt er Bilder und Töne auf, in denen die Geister der Vergangenheit zum Leben erwachen. Spiralförmig schrauben sich die Worte seiner Protagonisten ineinander. Diejenigen, die den Aufnahmeknopf drückten an ihren Phonographen, an ihren Foto- und Filmkameras, haben die offizielle Geschichte geschrieben. Mall Singh und die anderen Kriegsgefangenen aus dem Halbmondlager sind aus dieser Geschichte verschwunden. Ihre Geister scheinen mit dem Filmemacher zu spielen, ihm aufzulauern. 

Eine Zusammenstellung von wissenschaftlichen und journalistischen Texten und Auseinandersetzungen mit Film und Thematik gibt es hier, Informationen zu einer begleitend konzipierten Ausstellung unter diesem Link.

 

The Halfmoon Files |Regie: Philipp Scheffner |2007 | Dokumentarfilm | Deutsch |87min

Comments are closed.