Der Publizist Eike Geisel, Jahrgang 1945, schrieb über Antisemitismus, deutsche Erinnerungs- und Vergessenspolitik und arbeitete als Historiker beispielsweise über das Berliner Scheunenviertel und den Jüdischen Kulturbund. Nach seinem Tod 1997 weitestgehend vergessen, erschienen ab 2015 verschiedene Werke, die sich mit seinen oftmals polemischen, dicht geschriebenen Texten auseinandersetzen.

Eine kuratierte Auswahl seiner Texte versammelt das Buch “Eike Geisel. Die Wiedergutwerdung der Deutschen.”, herausgegeben von Klaus Bittermann. In seinem Vorwort zitiert dieser dann auch zu Beginn eines von Geisels polemischen Bonmots: “Some of my best friends are German.” Aufgegriffen wird hier die verharmlosende wie irreführende Aussage, man selbst habe nichts gegen zum Beispiel Jüdinnen und Juden, schließlich seien einige der eigenen, besten Freund*innen Jüdinnen und Juden. Neben Analyse und Kritik eines Antisemitismus des Alltags ging es Geisel in seinen Texten auch um eine radikale Kritk deutscher Erinnerungsmonumente wie dem Holocaust-Mahnmal in Berlin, den von ihnen ausgehenden Vergessens- und Entschuldungsdiskursen sowie um den virulenten Antisemitismus innerhalb der deutschen Linken.

Geisels beschäftigte sich intensiv mit deutschen Kontinuitäten – Mikko Linnemann greift dieses Motiv in seinem Dokumentarfilm “Triumph des guten Willens” bildsprachlich auf und zeigt in den ersten Einstellungen das Berliner Olympiastadion – erbaut für die Olympischen Spiele 1936 und bis heute in seiner baulichen Brachialität weitestgehend unverändert. Der Film erzählt, unterbrochen durch lange Einstellungen des Berliner Regierungsviertels mit als Voice-Over eingespielten Textausschnitten Geisels, entlang von vier Lesern und Weggefährten – dem Publizisten Alex Feuerherdt, dem Lektor Klaus Bittermann, dem Herausgeber der Zeitschrift konkret Hermann L. Gremliza sowie dem Publizisten Henryk M. Broder.

Insbesondere an Broders Beispiel zeigt sich, wie schmal der Grat zwischen schonungsloser Kritik jeglichen Formen von Antisemitismus und offenem, (anti-muslimischem) Rassismus häufig ist. Broders verbale, pauschalisierende Ausfälle gegen Migrant*innen und Muslim*innen und die Erstunterzeichung der “Erklärung 2018”, einem symbolischen Schulterschluss zwischen “bürgerlicher Mitte” und Vertreter*innen (neu-)rechter Gruppierungen weisen auch daraufhin, wie wenig trennscharf politische Kategorisierungen wie “links” und “rechts” zunehmend sind und welchen Veränderungen und Vereinnahmungen Konzepte, Motive und Begriffe ausgesetzt sind.

Beispielhaft möchten wir an dieser Stelle auf unseren Beitrag “Fremd im eigenen Land” verweisen, welcher sich mit der Aneignung jenes, ursprünglich von Henryk M. Broder im Kontext einer Publikation über Anti-Semitismus geprägten Satzes durch völkisch-nationale Gruppen beschäftigt.

 

Klaus Bittermann 2015: Eike Geisel. Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Berlin: Edition Tiamat.

Triumph des Willens |Regie: Mikko Linnemann | 2016 | Dokumentarfilm | Deutsch | 96min

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